Mit dem ‚Cruising Coop‘ – Team auf dem Autobahnparkplatz
Ein angeschnittener, noch ziemlicher frischer Laib Brot, ein fast leeres, geschlossenes Glas Gurken, die zerfallenen Innereien ausgelatschten Schuhwerks, diverse Bier- und Weinflaschen, Aromafläschchen und Leergut in markanter Form aus Putins Reich waren die Ausbeute meiner Sammelaktionen in Unterholz und Gebüsch. Kondom- und Gleitgelverpackungen, benutzte Kondome, Zellstofftücher en masse und leere Zigarettenschachteln machten den Großteil des eingesammelten Mülls in den blauen Säcken aus.
Robert, der Leiter unseres Präventionsprojektes ‚Cruising Coop‘ hatte wieder die mediale Buschtrommel geschlagen, diverse Männer in sozialen Netzwerken, Cruiser auf dem Parkplatz und ehrenamtlich Aktive in unserer Einrichtung angesprochen und angefragt, ob sie am 23.08.2014 wieder bei unserer jährlichen Reinigung der Parkplatzes Buchrain bei Offenbach mitmachen würden. Quer durchs Stadtgebiet sammelte Robert mit dem Dienstwagen vier Männer an verschiedenen Treffpunkten ein. Drei andere ehrenamtlich Aktive hatten sich mit eigenem Wagen auf den Weg gemacht und erwarteten uns bereits, als wir auf dem Buchrain ankamen. Auf dem Fussweg kamen zwei weitere ehrenamtlich Aktive hinzu. Ehrenamtliche Mitarbeit zu initiieren und zu koordinieren setzt zuweilen ein ziemliches Organisationstalent voraus und will beharrlich gepflegt werden. Höchst unterschiedliche Interessen und Charaktere und Herkünfte müssen unter einen Hut gebracht werden.
Die Nacht zuvor waren die Temperaturen deutlich abgesackt; es war kühl und frisch. Und wider Erwarten blieb der befürchtete Dauerregen aus, nachdem es in den frühen Morgenstunden noch genieselt hatte. Jetzt, am frühen Samstagvormittag waren im Wald eher nur vereinzelt einige Cruiser unterwegs. Bewusst legten wir den Aufräumtermin am Parkplatz so, dass sich möglichst wenige Nutzer des Grüngebietes in ihren Aktivitäten gestört fühlen. Streetwork setzt Sensibilität im Umgang mit den Zielgruppen voraus. An den Kreuzungen der Fusswege am Eingang des Waldes legten wir Präventionsmaterialien, Kondome und Gleitgel aus. Für den Präventionsstand am Autobahnparkplatz hat Robert wieder nebst dem nötigen Equipment Kaffee, Getränke und etwas Essen organisiert. Hier haben wir auch unser ‚Cruising Coop‘ Banner unter dem wuchtigen Sonnenschirm drapiert.
Südeuropa war im ehrenamtlichen Team mit einem Spanier und drei Rumänen sehr gut im Aufräumtrupp vertreten; analog zum offenbacher Bevölkerungsdurchschnitt waren wir Deutsche gerade noch in der Mehrheit. In den Pausen zwischen der Müllsammelei im Gebüsch blieb mir der Raum für das eine oder andere Gespräch.
A berichtet mir stolz, dass er nun endlich eine sechsmonatige Ausbildung durch das JobCenter bewilligt bekam und dass seine beharrlichen Bemühungen, der Behörde zu vermitteln, dass er arbeitswillig und motiviert ist, seinen Lebensunterhalt selber bestreiten zu wollen, nicht mehr auf ganz taube Ohren gestoßen sind. B fühlte sich etwas genervt, als er mich mal wieder Zigarette rauchend mit zwei anderen am Stand vorne auf dem Parkplatz herumlungern sah. „Was steht ihr hier herum? Wir sind doch zum Arbeiten hier!“ Mit C verläuft meine Kommunikation lediglich auf der Ebene von Gesten und flüchtigem Augenkontakt, ich bin seiner Sprache nicht mächtig. D bricht den Aufräumeinsatz vorzeitig ab; er hat über das Mobiltelefon einen Notruf erhalten und muss jetzt sofort einen Landmann vom Dortmunder Flughafen abholen. E lobpreist mir im Reden innerhalb weniger Minuten ein Mal zu oft die gesundheitsfördende Wirkung von ein paar Bierchen; was mich dann doch dazu veranlasst, darauf hinzuweisen, dass eine kaputte Leber und kaputte Nieren manchmal die Folge von ‚zu vielen Bierchen‘ sind. G verrät mir – da sind wir bereits wieder auf dem Heimweg – dass er heute noch keine rechte Lust auf seine Arbeit hat; ihm steht noch eine Spät- und Nachtschicht im Doppelpack an seiner Arbeitsstelle bevor. B erkundigt sich nach meinem Befinden, als wir uns das nächste Mal am Sammelplatz treffen und kündigt leicht zweideutig an, mir gleich ins Gebüsch zu folgen. Sex im dienstlichen Einsatz steht jedoch nicht auf meinem Arbeitsprogramm. F hingegen trifft erst kurz bevor wir wieder abreisen auf dem Parkplatz ein. Der Rentner hatte die Aufräumaktionen am Parkplatz Buchrain ursprünglich angestoßen gehabt; die Aids-Hilfe griff die Idee auf und initiierte das Präventions-Projekt ‚Cruising Coop‘. F und seinem handwerklichem Geschick und Engagement verdanken wir auch, dass wir zum Einsammeln des Mülls diese total praktischen Holzgreifstangen besitzen. Er hatte sie gerade für den heutigen Einsatz frisch aufgepeppt und mit neuen, metallenen Greifhaken versehen. Er und Robert sorgen dafür, dass die im Wald eigenhändig aufgestellte Mülltonne regelmäßig geleert wird. Ohnehin ist unsere Müllsammelaktion jedes Mal mit der Autobahnmeisterei abgesprochen. Und die Straßenreinigung sorgt dann dafür, dass das Sammelgut auch wieder ordnungsgemäß entsorgt werden wird. Besonders gefreut hat mich, dass ich beim Müllsammeln im Gebüsch von einem Cruiser mit Fahrrad angesprochen worden bin, der sich sehr lobend zu unserem ‚Cruising Coop‘ Projekt äußerte und sich für unseren Einsatz bedankt hat.
Dank der „Ich weiß was ich tu“ – Kampagne der Deutschen Aids-Hilfe ist es dem ‚Cruising Coop‘ Team möglich, jährlich mehrere Tausend Kondome am Parkplatz Buchrain (und an anderen Präventionsorten) an den Mann zu bringen. Der persönliche Kontakt vor Ort führt dazu, dass so manch einer der Cruiser sich im Rahmen der Gesundheitsvorsorge zu einem gelegentlichen Test auf sexuell übertragbare Krankheiten (STI) entschließt. (kho)